Yin

Das aktuelle Solo-Album von Michael Borner “YIN” ist eine Momentaufnahme zweier Monate im Jahr 2023. Die musikalische Wiedergabe dieses Zeitraums, auf einer Gitarre, aus einer sehr persönlichen Perspektive. Die Stücke stammen zum Teil aus unterschiedlichen Jahrzehnten und bekommen durch Interpretation und Improvisation – zumindest in Hinblick auf die Gegenwart – eine gewisse Aktualität verliehen. Ihre Reihenfolge verfolgt ein „formgebendes“ Ziel, eine Dramaturgie, wie etwa eine Suite, inhaltlich aber eher wie eine Oper, die man sich jedoch ohne Text und Gesang vorzustellen hat.

Definition of yin: the feminine passive principle in nature that in Chinese cosmology is exhibited in darkness, cold, or wetness and that combines with yang to produce all that comes to be

“Mit den Jahren hat es sich ergeben, dass ich Stücke, die nicht direkt für einen besonderen Zweck oder mit einer besonderen Absicht entstanden sind, mal komplett ausnotiert, mal nur mit Melodie und Akkordsymbolen, oder nur als probeweise eingespielte Audio – Datei, irgendwo auf dem Computer oder auf einer externen Festplatte abgelegt habe. 

Immer wieder ist natürlich einiges davon in Vergessenheit geraten, bis ich mich irgendwann ‚aufgerafft habe‘, einmal eine Art Sammlung der vorhandenen Noten bzw. Skizzen zu erstellen, um zu schauen, ob sich davon etwas als zu improvisierendes Solo-Stück eignen könnte. 

Es sind in dieser Sammlung von ca 40 Stücken aber auch solche enthalten, die ich schon einmal im Konzert oder auf CD verwendet habe. Es ging  ja im wesentlichen darum, genug Material für Solo-Programme bereitzuhalten und hiervon nicht allzuviel zu vergessen. 

Da in meinen Programmen der improvisatorische Anteil immer eine sehr große Rolle spielt, ist so eine Sammlung für mich ganz nützlich. Durch das wiederholte Experimentieren mit diesem Material kann ich herausfinden, was mir gelingt oder eben nicht, was ich schließlich als Ergebnis vertreten kann und was nicht. Mit der Zeit verändert sich bei mir so etwas. Auch Improvisations-Strategien, die sich eigentlich bewährt haben, können auf mich irgendwann fade oder kraftlos wirken. Immer wieder aufs neue herauszufinden, wie sich die Töne bewegen oder verbinden lassen, ist für mich spannend. Die Töne zu „erwischen“, von denen man meint, dass sie dort hingehören. 

Ein Teil dieser Arbeitsweise, bei der sich eine Auswahl von 12 Stücken ergab, ist in diesem Album als Momentaufnahme festgehalten. Sie bringt aber auch eine Art Beschränkung der Möglichkeiten mit sich, wenn man alle Parts auf einem Instrument wiedergeben will. Begleitung und Solospiel können ja, wenn sie auf zwei Gitarren verteilt werden, geradezu zu einem Triumph der Freiheit werden. Auf einer Gitarre hingegen müssen vier Finger der linken Hand den Fahrplan einer Begleitung und einer Improvisation gleichzeitig ausführen, darin besteht eine besondere Herausforderung. Denn es ergibt sich schnell, dass die Möglichkeiten dadurch nicht gerade unbegrenzt sind. Sich dort also einen gewissen Freiraum zu schaffen ist damit immer wieder die wesentliche Aufgabe.

Die meisten der Titel enthalten eine vorgegebene Form, in der sich Improvisiertes und Festgelegtes verbinden (sollen). Darunter einige, bei denen alle Töne festgelegt, aber mehr oder weniger aus einer Improvisation entstanden sind, zwei jedoch ohne jegliche Vorgabe (‚Yin I‘ und ‚Yin II‘; sie sind zwei vollständig improvisierte Versionen der gleichen Klangvorstellung). 

Diese Auswahl hat sich also mit der Zeit nahezu von selbst ergeben, aber es ist auch nur eine Auswahl bestimmter Ausführungen bzw. Versionen, die in zwei bis drei Monaten 2023 entstanden sind und sich mittlerweile – zumindest teilweise – wieder anders anhören könnten.”

Michael Borner 

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